Vergangenheit ist, wenn es nicht mehr wehtut - entschuldigen für Anfänger

"Drüber hinweg kommen" mit der Praxis für Psychotherapie in Hannover-Döhren von Dr. phil Ariane Windhorst

"Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern" - das habe ich als Kind immer stumpf mitgesprochen. Dabei enthält das Glaubensbekenntnis an dieser Stelle - psychologisch gesehen - einen enorm hilfreichen Hinweis: nämlich, wie heilsam es ist, verzeihen zu können.

 

Zuerst erscheint die Idee, denjenigen zu vergeben, die sich gegen uns "versündigt" haben, erst einmal völlig absurd: "die haben sich zu entschuldigen, die einen Fehler begangen haben, das ist ja wohl mal ganz klar! Die sollen zurückkommen, sagen, dass sie ihren Fehler eingesehen haben, dass sie mir Unrecht getan haben und sich entschuldigen!" Nur: Das kannst du leider vergessen.

 

Sich entschuldigen oder um Entschudligung bitten?

 

Erstens kann man sich gar nicht selbst entschuldigen, sondern man muss um Entschuldigung bitten - darüber denk mal bitte eine Minute nach. Und zweitens: Solange du die Wut über den erlittenen Schaden mit dir rumträgst "bis der Arsch mich um Entschuldigung anfleht", bleibst du weiter das Opfer.

 

In meiner Heilpraxis für Psychotherapie in Hannover-Döhren sehe ich das öfter: Manche Opfer warten mit mehr oder weniger tobendem Groll auf eine Wiedergutmachung und zeigen Stresssymptome:

  • innere Unruhe, Nervosität
  • Unzufriedenheit, Ärger, Wut
  • Hilflosigkeit
  • Denkblockaden
  • keinen klaren Gedanken fassen können
  • Schuldgefühle, Selbstvorwürfe
  • Grübeln, kreisende Gedanken
  • Gefühl der Leere im Kopf (geistige Aussetzer, Blackout)
  • Konzentrationsprobleme

Du produzierst Stresshormone. Das ist gar nicht gesund. Wenn du über Jahre hinweg, Stresshormone produzierst und verkrampfst, bist du in ernster Gefahr. Und mache warten tatsächlich in diesem Zustand, bis sie tot sind. Immer dieses Ziehen, diese Anspannung, Tag und Nacht, Jahr für Jahr - das macht etwas mit dir, auch körperlich.

 

Wut und Demütigung gehen mit einer erhöhten Ausschüttung von Prolaktin und verringertem Cortisol einher. Und eine Erhöhung des Prolaktinspiegels korreliert mit passivem "Coping", also passiven Überwindungsstrategien.

 

Ehrenmord ist keine gute Copingstrategie

 

Überwiegt das Cortisol, überwiegen auch die aktiven Copingstrategien. Und man könnte zusätzlich auch zwischen guten und schlechten Copingstrategien unterscheiden: Rache, Aggression, Ehrenmord zählen beispielsweise zu den ganz schlechten Copingstrategien, auch, wenn ein bestimmter Menschentyp sich tatsächlich danach besser fühlt.

 

Nichts zu tun, ist das Schlechteste, was du machen kannst. Die innere Wunde kann nicht heilen, du kannst nicht weitermachen mit deinen Lebensaufgaben, denn du hängst solange mit einem Teil von dir  in der damaligen Situation fest, bis du den Aggressor entschuldigst oder er dich um Entschuldigung bittet. Wenn keins von beiden geschieht, schießt dieser Schmerz immer mal wieder hoch und du kommst innerlich nicht zur Ruhe.

 

Sicher hast du Recht - nur, das nützt dir nichts.

 

Du strafst dich selbst, so lange du dem anderen nicht verzeihen kannst. Und das macht die ganze Sache nur noch viel schlimmer.

 

Und wie rettet man sich nun also aus einem jahrelangen Rechtsstreit mit immer neuen, fiesen Anwaltsschreiben? Aus einer Nachbarschaftsstreit, den der andere angefangen hat? Aus einem Erbstreit? Einem gebrochenen Lebensversprechen, wie einem Liebesschwur oder gebrochenen Eheversprechen oder gar Ehebruch?

 

Die Lösung heißt "loslassen" lernen

 

Die passive Variante ist nicht, nichts zu tun, denn das trägt zur Überwindung nichts bei. Es ist schon so viel Lebenszeit mit diesem Streit verschwendet worden, verschwende jetzt keine mehr. Besser ist: Mach bewusst Schluss, indem du loslässt. Diese gute passive Copingstrategie ist leider sehr, sehr schwer und LOSLASSEN kostet viel Kraft. Nun musst du den Fall aber nicht gleich sofort aufgeben und deinem Feind dein Erbe, deine Würde, dein Haus oder was weiß ich alles kampflos überlassen. Wenn du noch Chancen siehst, dein Recht zu bekommen, kämpfe ruhig weiter. Aber du musst aufhören, diese Dinge als einen Teil deiner Selbst zu betrachten, die man dir weggenommen hat und die dich seither unvollkommen zurücklassen, bis du sie  zurück erhältst oder zumindest ein "Tut mir leid", um endlich entschuldigen zu können.

 

Um von diesem Schmerz geheilt zu werden, musst du dir also gestatten, loszulassen. Vorher wird das nichts. Die Zeit heilt diese Wunde nur, wenn du erstens dir selbst verzeihst, dass du dich zum Opfer hast machen lassen, wenn du zweitens dem Täter verzeihst, dass er das warum auch immer getan hat und dir dann drittens gestattest, die Hoffnung, zu gewinnen, jetzt endlich auszugeben.

 

Gute Sportler lernen, mit Niederlagen umzugehen

 

Das geht eigentlich relativ einfach, solange es sich dabei nur um Gegenstände, Geld, Punkte oder gekränkte Eitelkeit handelt. Sportler können loslassen, wenn sie viel zu weit hinten liegen, um in der Zeit, die ihnen bleibt, noch aufholen zu können. Sie lassen innerlich los, begnügen sich mit einem Listenplatz- es hat halt diesmal nicht gereicht. Ein guter Sportler zu sein, heißt eben auch, zu lernen, wie man mit Niederlagen umgeht. Es heißt, dem anderen den Sieg zu gönnen. Das nennt man Sportsgeist.

 

Nun werdet ihr einwerfen, dass Euer Leid kein lächerlicher Wettkampf ist. Und ich sage: doch. Deine Lebenstragödie ist passiert. Mal verliert man, mal gewinnt man. Und du hast jetzt etwas sehr wichtiges verloren, sieh es ein, gib auf, klopf auf die Matte, du bist besiegt und darfst jetzt in die Umkleide zum Duschen, es gibt keine Medaille für dich.

 

Wenn es um Kinder geht, ist es natürlich unfassbar viel schwieriger. Auf den Fall mit den weggenommenen Kindern komme ich später noch einmal zurück, hier geht es heute nur um weniger schlimme Verletzungen, die durch Loslassen zu kurieren sind.

 

Nehmen wir ein Beispiel: du hast dein Geld und deine Würde verloren? Du bist auf einen Betrüger reingefallen, der deine Naivität ausgenutzt hat? So etwas kann viele Jahre an einem nagen. Einmal ist dir der Vorfall peinlich, dann bist du sauer auf die kriminelle Energie des Halunken und auf seine Mutter, die ihn so schlecht erzogen hat und auf die Polizei und die Richter, die den nicht fangen oder gerecht verurteilen - aber vor allem auf deine eigene Gutgläubigkeit. Die Tatsache, dass das Miststück nun mit deinen Sachen oder deinem Geld über alle Berge ist und ungeschoren davon kommt, ist kaum zu ertragen.

 

Du hast etwas verloren und reagierst wie ein Opfer. Passiv aggressiv. Frauen, besonders Mütter, reagieren eher so, siehe oben. Sie kauen den Fall immer und immer wieder durch, um das Schicksal zu beschwören, ihnen endlich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Aber nichts passiert. Das Leben ist ein Dschungel und sie fühlen sich wie die Schildkröte, die auf dem Rücken liegt.

 

Loslassen, wenn der Kampf aussichtlos wird

 

Nur anders als der Schildkröte passiert einem Menschen im Leben immer genau dann, wenn er denkt, so, jetzt ist es vorbei, das war's jetzt, ich bin am Ende, ich muss jetzt zugrunde gehen, etwas, das die Situation verändert. Ihr kennt die Sprichwörter: "Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich woanders ein Fenster" oder "Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her".

 

Gläubige Menschen sprechen von Wundern oder Engeln. Ich bin vielmehr sicher, solche Schicksalswendungen gehören zum Menschsein, zum Leben dazu. Der Lebensweg geht mal auf und mal ab und wenn es zu lange "durch ein finsteres Tal geht", dann geht es auch mal wieder aufwärts und etwas Positives passiert. That's life.

  

Erst wenn du loslassen kannst und dich auf das einlassen kannst, was was danach auf dich zukommen wird, dann entspannst du innerlich und es kommt Ruhe und Frieden in dein Leben und du kannst wieder frei atmen und bald auch wieder lachen.

 

Nachtrag: Sollte sich wider Erwarten doch einmal jemand bei dir entschuldigen wollen mit den Worten "Es tut mir leid", dann frag ihn: "Was tut dir genau leid?" und berichte mir von seiner Reaktion, bitte.

 

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