
oder was jeder Einzelne von uns tun kann, um die Verrohung der Gesellschaft aufzuhalten.
Die Diskussionen vor allem in den Sozialen Medien werden immer aggressiver. Der Anstand scheint verloren gegangen zu sein, die Streitkultur verkümmert und die kluge Einsicht, dass man die Schnauze hält, wenn man nichts von dem versteht, was da gesagt wird und dass man still ist, wenn man nichts Nettes zu sagen hat.
Immer wieder bestätigt sich die Richtigkeit von Elisabeth Noelle-Neumanns Konzept der "Schweigespirale", das, kurz gesagt, auf der Angst vor sozialer Ausgrenzung beruht: Menschen hielten früher die Klappe, wenn sie merkten, dass ihr Standpunkt gar nicht gut ankam. Antisemiten, Rassisten, Faschisten und Demokratiegegner wagten es höchstens betrunken, sich dementsprechend zu äußern. Aber nicht öffentlich.
Das hat sich geändert. Und dahinter steckt Methode.
Das Zeitalter der Aufklärung ist am Ende
Jetzt sollen die Netten, Freundlichen, Liebenden, die Konsenzfähigen und Harmoniestrebenden den Mund halten. Nun sollen die Klugen, Gebildeten und Vernünftigen denken, sie hätten hier nichts mehr zu sagen. Und dass Hass und Hetze gegen sie mit dem Grundrecht auf freue Meinungsäußerung begründet werden, ist ebenfalls plausibel, wenn man unterstellt, dass die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln vernichtet werden soll nach dem Vorbild der NSDAP.
Welche Rolle die Aufklärung in der Entwicklungsgeschicht der Menschheit gespielt hat, kann ich hier nicht ausführlich darlegen, (vgl. "Aufklärung: Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit"), aber dass das Ungleichgeicht zwischen Mehrheitenund der Minderheit der Klügeren, die nachgeben eine echte Schieflage erzeugt hat, möchte ich im folgenden kurz darstellen und am Ende auch einen Lösungsvorschlag anreisßen, der uns aus diesem Konflikt befreien könnte.
Gruppen von Aggresiven marschieren durch die Sozialen Medien und längst bedrohen sie die friedliche Bevölkerung auch im realen Leben. Die Straßen von Bautzen sind an Montagen verbotene Zone für Normalbürger. Ganz zu schweigen von den vielen anderen Orten, nicht nur in Deutschlands Osten, an denen die Aggresiven die Macht übernommen haben, den Angriffen auf Wahlkampfhelfer und die Bedrohung von CSD-Veranstaltungen.
Unter den Gesichtspunkten der "Macht der Kränkung", die ich in einem der vorigen Blogartikel angerissen habe, keimt eine neue Arbeitshypothese auf: Sind diese Verrohung und die zu beobachtende Werteumkehr eine kollektive Racheaktion aller Menschen, die sich nicht mehr für ihre Dummheit schämen wollen?
Das Aufbegehren der Underdogs und all der Pechvögel, Ungebildeten, Triebgesteuerten und Faulen, die unter ihrer niedrigen sozialen Stellung gelitten haben und die nun - ohne die Mühe der Bildung und Herzensbildung auf sich zu nehmen, die ausgestreckte Hand der Diktatoren und Autokraten ergreifen, die ihnen suggerieren, dass jetzt die Rowdies, Bullys, Vergewaltiger, Rassisten und Antisemiten "oben" sind? Der Aufstieg und Wiederaufstieg von Donald Trump und seine Begnadigung und Beförderung der wilden Horden, die einst auf sein Geheiß das Capitol stürmten, sind der Beweis.
Ist "unten" jetzt "oben"?
Sämtliche Anmerkungen Reinhard Hallers in seinem Buch "Die Macht der Kränkung", seine Ausführungen über Narzissten, die Phänomene der Narzisstischen Kränkung und Rache, lassen diese Schlussfolgerung zu.
Er selbst beschreibt darin die Grundzüge einer "narzisstische Gesellschaft". Prophetisch, wie ich finde, denn haargenau erkennen wir 2025, wie sehr er recht hatte, als er das alles bereits 2015 veröffentlichte.
Wertewandel? Deine Mutter Wertewandel!
2015 spricht er noch vom "Wertewandel" - inzwischen kam es m.E. zu einer Werteumkehr. 2015 konnte er noch nicht ahnen, dass mit der Verunglimpfung der Pressefreiheit durch den auf Demos immer lauter werdenden Schlachtruf "Lügenpresse", eine Reihe von vormals guten Werten im Rahmen einer Umdeutung von Begriffen und Symbolen, die die Älteren unter den Demokraten als positiv und erstrebenswert verinnerlicht hatten, ihren Anfang nahm:
- Lügenpresse
- Gutmensch
- political correctness
- woke/erwacht
- Regenbogen
Dass sich die Anhänger dieser Umdeutungen zum Büttel russischer, hybrider Cyberkriegsführung machen, ist ihnen natürlich nicht klar, denn sie vertrauen ja nicht auf die Analysen von Journalisten, überhaupt, unabhängigen Qualitätsmedien und Wissenschaftler:innen. Und genau das ist gewollt, hier schließt sich also schon der erste Kreis.
Seit ungefähr 2009 und verstärkt 2013, also kurz vor der Invasion der urkainischen Krim durch Russland, nehmen Trolle Einfluss auf die Debattenkultur im Netz, mit dem Ziel, die westlichen Gesellschaften durch Verunsicherung zu spalten und sich dadurch sogar selbst zu zerstören, indem die freiheitlich-demokratische Grundordnung nur noch eine leblose Hülle ist, genau wie die Sowjetunion es geschafft hat, dass der Begriff "Demokratie" in der Deutschen demokratischen Republik (DDR) keinerlei Wert besaß.
Der Kampf gegen das Gendern ist der Kampf gegen Frauen und Minderheiten, deren Schutz unser Grundgesetz vorschreibt. Nach dem gendern, dass sich gegen Frauen richtet, folgte der Kampf gegen LGBTQ+, vor allem in der Bekämpfung der Regenbogenflagge und der Bedrohung von CSD-Teilhemenden. ausgerechnet der Regenbogen, der bis dato für Frieden & Liebe stand, wird zum Kampfsymbol - perverser geht's nicht.
Danach nahm man sich Antifaschisten vor: Menschen, die gegen Faschismus sind. Das galt früher als Ehrensache, inzwischen ist "Antifa" ein Schimpfwort geworden. Der Kampf gegen Antifaschisten öffnet dem Antisemitismus und dem Rassismus Tür und Tor. Heute schämt sich die Ultrarechte nicht mehr dafür, Emmigranten zu deportieren, Asylbewerber "absaufen" lassen zu wollen und linksgrüne Politiker an den Galgen zu wünschen.
In der DDR war es Staatsräson, kein Nazi zu sein und anifaschistisch, also galt es als Provokation, Widerstand und Aufbegehren, die Oberen durch Nazisymbole zu reizen. Hier konnte m´die russische, psychologische Kriegsführung, unter der Regie des ehemaligen in Dresden eingesetzten KGB-Agenten Putin prima ansetzen. Übrigens ist in den USA bereits der Begriff "Demokrat" ein Schimpfwort. rein ethymologisch sind Demokraten und Republikaner ein uns dasselbe, aber die Konnotation der Begriffe hat sich um Zuge der Entwicklung der beiden politischen Parteien in den USA zu zwei antagonistischen Gruppen ebenfalls verändert. Das Image, das Gefühl das man entwickelt, wenn man an eine der beiden denkt, ist kompett untereschiedlich und das korrespondiert mit der wahrgenommenen Spaltung der Gesellschaft.
Devidere et impera
Aprospos Spaltung: Durch das wiedervereinigte Deutschland geht ein Riss. Werden wir zerrissen? Schaut man sich die Kräfte an, die wirken, ist die Bedrohung durchaus ernstzunehmen. Der eine narzistische Soziopath im Westen verweigert uns nicht nur den Schutz im Rahmen der NATO, wie es aussieht, er hat bereits einen Handelskrieg mit Europa begonnen. Der andere narzisstische Soziopath im Osten droht nicht nur, er bekämpft Europa seit vielen Jahren im Netz durch hybride Kriegsführung und seine Vision das Terrritorium der Sowjetunion unter seien Herrschaft zu bringen, wird seit 2014 auch konventionell militärisch verfolgt.
Denn ein anderer Riss geht entlang der EU-Außengrenze: der der Solidarität mit den Bündnispartnern. Ukraine ist weder Teil der Europäischen Union noch Teuil der Nato und obwohl sie geographisch und kulturell christlich-europäisch ist, lässt der Westen sie langam verrecken. Man wirft die Ukraine der Russischen Föderation nicht zum Fraß vor, sondern man verlängert den Todeskampf der Ukraine so lange es geht. Das ist nur deshalb möglich, weil die EU eben keine union ist, sie ist eine heterogene Gruppe, daher kann man sie hervorragend spalten.
Die Spaltung der Gesellschaften ist der Kern der psychologischen Kriegsführung: Die Stimmen der Vernunft werden ausgeschaltet und natürlich auch die Stimmen des Herzens, wohl wissend, dass Aufregung, Abscheu, Hass und Zerstörungswut Gefühle sind, die wesentlich stärker durchdringen, als Geduld, Verständnis, Toleranz, Vergebung, Liebe und Edelmut. Dies ist auch der Grund, warum Reichsbürger, Identitäre, Querdenker und Pegida-Anhänger in erster Linie männlich dominiert sind (vgl. Proud Boys). Dagegen sind die Rocker bloß Waisenknaben.
Und befeuert wird dies aus der Sehnsucht ungehobelter Männer nach dem Patriarchat, als man noch was Besseres war, nur weil man ein Y-Chromosom hatte. Oder im Nationalismus, als man noch was Besseres war, nur weil man in Deutschland aus dem Schoss der Mutter gekommen war. Aber nachdem nun auch Migranten der zweiten und folgenden Generationen ebenfalls hier zur Welt kommen, erblüht der Rassismus, der die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe zum Kriterium für "was Besseres" macht, also nichts, das man sich erarbeitet, sondern, das einem zufällig zugeflogen ist.
Diese White-Supremacist-Ideologie ist auch der feuchte Traum aller Faulen und Triebgesteuerten, die nicht an sich arbeiten wollen, um beispielsweise eine Partnerin zu finden. Lieber wollen sie hören, dass ihnen Frauen "zustehen" oder dass, wenn sie eine Ehefrau ergattern konnten, ihnen die Erfüllung der ehelichen Pflichten zustünde und es keine Vergewaltigung sei, wenn man sich einfach nimmt, was man will.
Dazu passt, dass man Hass auf Arme schürt: Verachtung für Menschen, denen es schlechter geht. Man scheut sich nicht zu sagen, dass Bürgergeld nicht allen Bedürftigen zusteht, wie es unser Grundgesetz vorsieht, sondern nur den "Biodeutschen". Und so zeiht sich die Schlinge immer enger um die freiheitlich-demokratische Grundordnung.
Auch, in dem man den Rechtsstaat aushöhlt, im Kleinen, indem vermeintlich ungerechte Gerichtsurteile, zugunsten von Migranten erfindet und im Großen, in dem die AfD alle Mittel der Demokratie ausnutzt, um in deine Position zu gelangen, die es ihr ermöglicht, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen, wie es die NSDAP vorgemacht hat.
Die Trump-Administration überholt die AfD gerade. Die Absurdität dieser Entwicklung wird ins Groteske getrieben mit den täglichen Aufregern, die Trump produziert, man kommt nicht mehr zum Luftholen und stumpft ab. Alles Methode. Alles von Joseph Goebbels bereits perfekt ausgearbeitet.
Der Umsturz in den USA ist das was uns in Deutschland ebenfalls droht, denn alles, was in Amrika geschieht, kam auch zu uns. Die Polarisierung, die zu einem Riss führen kann, ist bereits da.
Der Abscheu der Ultrarechen auf alles Vernünftige, Nachhaltige, Soziale und Zuversichtliche wird geschürt, was man an der erfolgreichen Kampagne gegen die Grünen 2024 und 2025 ablesen kann. Das Gemeinwohl ist kein Wert mehr, es geht nur noch um das Ego. Auch um das kollektive Ego, was sich in Nationalismus, Rassismus und Xenophobie ausdrückt.
Schauen wir uns den Umgangston an, der im Netz herrscht, sehe ich die Schlacht in den Sozialen Medien als verloren an. Menschen, die die westtlichen werte verteidigen, müssen und (neu) formieren und eine neue Strategie entwerfen. Und eben nicht in den Krieg ziehen, sondern in den Frieden.
Hierbei gilt es, die guten Werte weiterhin mit aufrechter Haltung zu verteidigen und sich mit Hartnäckigkeit gegen die Werteumkehr und Verrohung zu stemmen.
Wie kann dies geschehen?
Wir müssen aufhören, sie zu verunsichern. Wir müssen ihr Vertrauen gewinnen und jede Geste der Überheblichkeit vermeiden.
Wir müssen aufhören zu kämpfen.
Eine neue Art des Pazifismus ist das nicht, es basiert auf dem Prinzip der Gewaltlosigkeit, das Gandhi gegen die Herrschaft der Briten in Indien eingesetzt hat und auch Nelson Mandela gegen das Apartheits-Regime in Südafrika.
M.E. ist dieser "Friedensfeldzug" nur mit (christlicher?) Nächstenliebe, Gastfreundschaft und - Achtung - dem gesprochenen Ort, das wir austauschen, in dem wir uns körperlich im wahren Leben begegnen und uns wider persönlich in die Augen schauen, zu gewinnen.
Dazu können wir das altbewährte Konzept der Gastfreundschaft nutzen, das in allen Kulturen fest verankert ist.
Diskussionen im Netz haben keinen Sinn mehr, außer, dass sich die Gegner nicht allzu siegessicher fühlen können, wenn sie weiterhin Gegenwind spüren. Auch sin die Echokammern und Filterbubbles der Friedlichen hilfreich, um sich zu solidarisieren und sich nicht ganz so verloren zu fühelen.
Aber wenn die Aggressiven merken, dass die Friedliebenden sich ihretwegen aufregen, triumphieren sie, denn sie wollen ihre Gegner ja aufstacheln, damit sie ihre Energie in sinnlosen Wortgefechten verfeuern. Ein ganz altes Konzept der Russischen Revolution: Agitation + Propaganda = Agitprop.
Aber das persönliche Gespräch in gastfreundlicher Umgebung - inzwischen längst nicht mehr selbstverständlich - hat mehr Überzeugungskraft. Und dabei muss es gar nicht um politische Argumente gehen, sondern nur darum, zusammenzusitzen und zu essen und zu trinken und sich dabei zu unterhalten, damit wir sehen, dass der oder die andere nur ein Mensch ist, wie du und ich. Dabei erkennen wir, dass die Sehnsucht nach Harmonie, Freundschaft, Wohlfahrt und Liebe größer ist als der Hass.
Die Kunst der Gastfreundschaft zu pflegen, ist eine Form des der Kommunikation, bzw. sozialen Miteinanders, die jede und jeder von uns ohne Probleme wieder aufleben lassen kann. Man braucht nur einen Tisch und Speisen und Getränke und die Energie, eine Einladung auszusprechen.
Mehr dazu in Kürze.
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Foto: "Mephisto und Gretchen" von Sailko - Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=109819898)