Einsamkeit - persönliches Problem oder öffentliche Aufgabe?

Die Briten gründen ein Einsamkeitsministerium. Depressionen entstehen aus Einsamkeit.  Vorbeugen lernst du in der Praxis für Psychotherapie in Hannover-Döhren von Dr. Ariane Windhorst

Ein Einsamkeitsministerium, wie das neue "Ministry of Loneliness" in England, wird es in Deutschland nicht geben - und das brauchen wir auch nicht. Das Phänomen Einsamkeit taucht in meiner Heilpraxis für Psychotherapie in Hannover-Döhren in vielen Variationen auf, doch keiner der Betroffenen erwartet, dass der Staat etwas dagegen unternimmt.  

 

Bei uns muss ein Ministerium immer FÜR etwas sein, deshalb haben wir kein Kriegsministerium, sondern ein Verteidigungsministerium und kein Krankheitsministerium, sondern ein Gesundheitsministerium - und wenn ein Ministerium gegen die Einsamkeit gegründet werden sollte, dann müsste es ebenfalls nach dem positiven Gegenteil benannt werden: Geselligkeitsministerium.

 

Einsamkeit entsteht nicht durch Digitalisierung

 

"Geselligkeitsministerium" würde zwar komisch klingen, aber es ist vielleicht keine schlechte Idee, staatlicherseits mal darüber nachzudenken, inwieweit unsere gesellschaftliche Entwicklung dazu führt, dass Einzelne sich ausgegrenzt und hängen gelassen fühlen.

 

In der Diskussion um das britische Einsamkeitsministerium wurden Stimmen laut, die vor allem die Digitalisierung für schuldig hielten. In deren Vorstellung spielen Kinder zu viel mit dem Tablet, Eltern surfen abends durch das Internet, statt ihren Kindern Geschichten vorzulesen und Paare sind lieber auf Facebook unterwegs, anstatt zu fummeln. Das ist alles bedauerlich, doch für Menschen, die sich überhaupt nicht einsam fühlen, wäre das neue Geselligkeitsministerium nicht zuständig. 

 

Das Alltagsleben verlagert sich immer weiter in den nicht-physischen Raum. Oft erinnert mich das an den Film "Surrogates", in dem die Menschen den ganzen Tag völlig verschlampt im Pyjama zuhause in gemütlichen Spezialapparaten liegen und durch Gedankenstimuli ihre Roboter durch die Gegend steuern und sich nur noch durch diese makellosen Repräsentanten im dreidimensionalen Raum bewegen. Unsere geistige Anwesenheit verlagert sich in virtuelle Spieluniversen und Arbeitsuniversen - und wie enorm der Anteil an Zeit ist, den Menschen auf Datingplattformen auf der Suche nach Liebe oder um den Trennungsschmerz zu lindern, "miteinander" verbringen, kann man ahnen. Unsere Körper bleiben an Ort und Stelle sitzen.

 

Bizarre Hobbys mit Wildfremden verhindern Außenseiter

 

Es gibt in der Tat interessante Phänomene, die durch die Verlagerung unseres Lebens in die virtuelle Welt entstehen, wie beispielsweise das galoppierende Zugrundegehen von Tischmanieren - oder: in Japan soll es Eltern geben, die ihre längst erwachsenen Söhne für Kurse anmelden, in denen sie lernen, wie man mit einer echten Frau aus Fleisch und Blut umgeht, damit endlich Enkel kommen.

 

Aber ob ein deutsches Geselligkeitsministerium uns den Spaß am physischen Miteinander zurückbringen kann, wo doch die Erledigung so vieler alltäglicher Aufgaben im virtuellen Raum schneller, leichter und sauberer vonstatten geht, glaube ich nicht. Der wachsende Hightech-Komplex ist nicht der Grund für Einsamkeit. Ich glaube auch, wir steuern auf einen Alltag 4.0 zu, weil wir das mögen. 

 

Ich glaube, dass viele Menschen durch die Segnungen des Internets längst nicht so einsam sind, wie sie es wären, wenn wir das Internet nicht hätten: Online zu pokern, Schulfreunde wieder aufzustöbern und mit ihnen in Kontakt zu bleiben, sich in Gruppen zusammenzuschließen, um sich über Fachthemen auszutauschen und zu spielen und wieder neue Leute kennen zu lernen, das war ohne "WWW" viel umständlicher. Gemeinschaften zu bilden, ist der Inbegriff von Social Media - und natürlich Katzenvideos zu teilen. Bizarre Hobbys zu pflegen, war früher ungleich schwieriger. Früher glaubte ein Windelfetischist, er sei ein perverser Freak, schämte sich und litt einsam. Heute schließen sich Außenseiter aller Couleur weltweit zusammen und brauchen sich nicht mehr als Außenseiter zu fühlen. Im Internet kann jeder Gleichgesinnte treffen, auch wenn er in einem Dorf in Grönland lebt und beide Beine gebrochen hat. 

 

Der Einsamkeit ist es egal, ob Menschen sich digital oder real nicht austauschen

 

Die Vielfalt der technischen Kommunikationsmöglichkeiten ist gestiegen und die Preise für ihre Nutzung sind gesunken. Natürlich verändert sich dadurch unsere Kommunikationskultur, aber dies ist nicht der Grund für Einsamkeit. Das Gegenteil ist der Fall.

 

Die Mobilität im "RL" (real life) ist nicht das Problem, denn solange die Gastronomie auch weiterhin gut besucht wird und Hotels, Messen, Stadien, Wanderwege und Volksfeste ebenfalls, gibt es wirklich keinen Bedarf für ein Geselligkeitsministerium. Solange die Tourismusbranche weiter floriert und der Luftraum von steigendem Flugverkehr überladen ist, weil sich Menschen physisch in ihre Urlaubsparadiese tragen lassen und die Meere von Kreuzfahrt-Armadas durchzogen werden und es weiter Blechlawinen (tolles Wort!) auf den Autobahnen gibt, sollten wir wirklich eher froh sein, wenn Menschen ihre Zeit lieber im Internet verbringen und sich dort vergnügen, entspannen, weiterbilden, arbeiten, inspirieren und austauschen und ihre physische Umwelt mit sich selbst verschonen.

 

Einkaufen war schon immer eine einsame Sache

 

Ach, und das sogenannte Einkaufserlebnis... Unsere Innenstädte verändern sich, weil der stationäre Einzelhandel Marktanteile an die Onlineshops abgibt. Und ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich vermisse das Parkhaussuchen, Umkleideschwitzen, Schlangestehen und Tütenschleppen nicht.

 

Was ich vermisse, sind die netten kleinen inhabergeführten Geschäfte, die einen Stadtteil prägen. Wo am Stadtrand ein kleiner geschmackvoller Laden Pleite macht, geht entweder ein Nagelstudio rein, ein Pflegedienst oder eine Versicherungsagentur. Und in der Stadtmitte nur noch Ketten. Und ehe man sich in die Straßenbahn setzt und 5,20 Euro hin und zurück ausgibt, um sich z.B. bei S.Oliver, Esprit, H&M, Benetton, Karstadt, Kaufhof, New Yorker, Zara, Marc O'Polo, C&A u.v.a. etwas zu kaufen, bestellt man doch lieber online versandkostenfrei und lässt sich das Paket von dem glutäugigen jungen Mann an die Haustür tragen, der ohne diese schlecht bezahlte Knochenarbeit vielleicht gar keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung hätte. Darum kümmern sich bereits Arbeits- und Wirtschaftsministerium - und ich bin fest davon überzeugt, dass die Sehnsucht nach schönen Geschäften und Cafés stärker ist und wir auf eine Renaissance der Innenstädte zusteuern. Auch, wenn das noch lange dauert, aber hier ist ein Gesellschaftsministerium überflüssig. 

 

Innenstädte werden sich regulieren: Ketten raus, Mieten runter, nette Läden rein, Citys wieder voll

 

Meine Vision der Innenstädte ist die, dass die Verbraucher in naher Zukunft zunächst erst einmal nur noch online bestellen. Dann werden sich die hohen Mieten für die großen Ketten nicht mehr lohnen, weil keiner mehr in die uniformen Innenstädte kommt. Die Ladenmieten werden sinken, neue kreative Ladenkonzepte werden sich etablieren, die neue Kundschaft wird entzückt sein von den schönen, neuen geschmackvollen Geschäften und wieder vermehrt in die Innenstädte strömen - erst recht, wenn der ÖPNV die Preise senkt und keiner mehr einen Sinn darin findet, mit dem Auto in die Stadt zu fahren.... 

 

Wir sind ein sozialer Bundesstaat, aber reagieren allergisch auf den Begriff "SOZIAL" - wir sind praktisch autoimmun geworden

 

Bei der Idee des Geselligkeitsministeriums geht es um alleinstehende Bürger, die keinen Anschluss haben und abgeschnitten sind von gesellschaftlichem Leben. Damit ist nicht nur das Shoppen gemeint, sondern Kultur, Gastronomie, Bildung, Sport, Flanieren, Naherholung, Hobbys und Erbauungen aller Art. Besser wäre also der Name "Gesellschaftsministerium" für eine Institution, die sich gegen Einsamkeit stemmt. Aber die haben wir bereits: ein anderes Wort für gesellschaftlich oder gemeinschaftlich ist SOZIAL. Und es gibt bereits das Bundesministerium für Arbeit und Soziales - und in Niedersachsen haben wir das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung. Die einzelnen Landesregierungen siedeln den Bereich Soziales mal da, mal dort an.

 

Grob gesagt geht es in den Sozialministerien um alles, was das Zusammenleben der Bürger betrifft und genauso, wie ein Verteidigungsministerium Krieg verhindern will (*hüstel*), ist es die Aufgabe des Sozialministeriums, Einsamkeit zu verhindern - und das meine ich wirklich nicht ironisch.

 

Doch der Begriff "SOZIAL" hat einen unglaublichen Niedergang erlitten. Sobald das Wort erscheint oder ertönt, schalten viele Rezipienten automatisch angewidert ab. Nicht nur Amerikaner reagieren, sobald sie "social" hören, sofort mit einem anti-sozialistischen und anti-kommunistischen Reflex. Der mißlungene Sozialismus hat auch den Sinn für das mitmenschliche Füreinander empfindlich beschädigt. Dass mit dem Untergang des Sozialismus der Kapitalismus weltweit siegt, ist gar nicht im Sinne der Bundesrepublik gewesen, denn wir sind laut Artikel 20 unseres Grundgesetzes ein SOZIALER Bundesstaat und unser Wirtschaftssystem ist dem entsprechend die SOZIALE Marktwirtschaft und nicht die freie Marktwirtschaft. 

 

Unser soziales Verantwortungsbewusstsein ist verkümmert

 

Das bedeutet, dass bei sich uns der Stärkere, Leistungsfähigere gerne durchsetzen kann, aber dass der Staat dort reguliert, wo die Kleinen, Schwachen, Armen, Alten zu kurz kommen könnten. Daher haben wir zum Beispiel den staatlich geförderten SOZIALEN Wohnungsbau, damit die Einkommensschwachen (Euphemismus für Arme) eine Möglichkeit haben, Teil der Gesellschaft zu bleiben und nicht an den (Stadt-)Rand, in Armenghettos gedrängt zu werden 

 

Die entsprechenden Begriffe "Fürsorge" und "Wohlfahrt" wurden  - warum auch immer - abgeschafft und auf der Suche nach neuen Begriffen entstanden komische Neuschöpfungen. Sozialhilfe heißt jetzt "Transferleistung", das ist ein anderes Wort für Geschenk ohne Gegenleistung. Die Kritik an den staatlichen Zahlungen an Bedürftige wuchs: Transferleistungen würden die Leistungsbereitschaft des Transferempfängers senken und könnten zu einer Mitnahme-Mentalität verleiten - das denken immer noch Viele"Sozial" ist seit Langem untrennbar verbunden mit "Verlierern" oder "Schmarotzern", die den Staat aussaugen und schwächen - und mit beiden wollten die wiedervereinten Bundesbürger der 1990er Jahre nichts mehr zu tun haben. 

 

Wie der Begriff SOZIAL umbesetzt wurde und wenig Geld zu haben, eine Schande

 

Irgendwie gelang es einer unsichtbaren Macht, den Begriff "Wohlergehen" untrennbar mit dem Begriff "Wirtschaftsleistung" zu koppeln und gleichzeitig zu suggerieren, dass die Armee der Trinker, Faulenzer, Leistungsverweigerer, Künstler, Punks und Pechvögel den Industriestandort Deutschland hinabzieht und ihn im globalen Wettbewerb existenziell bedroht. In den Köpfen der Deutschen entstand die Idee, dass man das Heer der Schmarotzer von den wenigen echten Armen, Alten und Kranken unterscheiden musste, die wirklich staatliche Hilfe verdient hätten. Und so schnitt man einfach alle ab von der staatlichen Fürsorge und hoffte, dass fortan nur noch diejenigen Hilfe beantragen würden, die sich selbst aus eigener Kraft nicht mehr helfen konnten.  Allen anderen wollte man es so schwer wie möglich machen, an die staatlichen Töpfe zu kommen. Seit 2005 erhalten nur noch Menschen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen, "Sozialhilfe" und "Grundsicherung". Alle Arbeitslosen, die arbeiten könnten, erhalten widerwillig "Arbeitslosengeld" I oder II, das der Volksmund "Hartz IV" nennt. Dies war der Anfang vom Ende der Bundesrepublik als SOZIALEM Bundesstaat und das läutete das Ende der Sozialdemokratie ein.

 

Dummerweise kommen die Betrüger und Trickser nach wie vor ganz gut durch den bürokratischen Sozialhilfe-Dschungel und das schlechte Bild vom Transferleistungsempfänger als Faulenzer, Leistungsverweigerer oder das des Pechvogels (m/w), der/die aufgrund eigener Schwäche dem Staat auf der Tasche liegt, setzte sich weiter in der allgemeinen Vorstellung fest. Die bürokratischen Hürden und vor allem das auch für Deutsch-Muttersprachler unverständliche Amtsdeutsch, erweisen sich nun aber gerade für die Schwächsten der Gesellschaft als unüberwindbar - und Freunde um Hilfe zu bitten, dafür ist die Scham zu groß. Der Staat reibt sich die Hände, denn erstens beschönigt die große Dunkelziffer der Berechtigten, die sich nicht trauen, staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, sondern lieber Flaschen sammeln gehen, die Statistik. Zweitens lässt sich trefflich davon ablenken, dass der Staat einfach keine Lust mehr hatte, den Armen (Alten und Kranken) zu helfen, sondern es nun eindeutig vorzog, lieber denjenigen zu helfen, die reichlich Profite und damit Steuergelder und Arbeitsplätze versprachen. Er unterstützt zwar noch karitative Einrichtungen, Vereine und andere Fürsorge-Institutionen in Form von Fördermitteln indirekt, aber die Verantwortung ist er los.

 

Sozial Schwache werden stigmatisiert und zu Außenseitern

 

In der Folge wurden Arme, Alte und Kranke nicht mehr als Teil der Gesellschaft gesehen, sondern als Außenseiter und es ist vielen Ehrenwerten und Ehrlichen unerträglich peinlich, nicht als Leistungsträger/Steuerzahler gelten zu können.  Außenseiterfurcht, bzw. Abstiegsängste quälen sie Tag und Nacht. Durch die sogenannte "Gentrifizierung", bei der ganze Stadtteile so teuer luxussaniert werden, sodass die Armen, Alten und die mit mehreren Kindern dann doch an den Stadtrand oder aufs Land ziehen müssen, entsteht eben doch eine Ghettoisierung bzw. Ausgrenzung.

 

Wenn dann auch noch hilfesuchende Fremde ins Land flüchten, die sich an unseren winzigen Sozialtöpfen bedienen wollen und die in ihren Heimatclubs solidarische Hilfestellung erhalten, wie man den Antragsmorast der deutschen Behörden erfolgreich durchwaten kann, dann ist das ohnehin verkümmerte soziale Verantwortungsbewusstsein der Bundesbürger arg strapaziert. 

 

Antisozial oder asozial oder verfassungswidrig?

 

Große Teile der Bevölkerung haben beim Kampf um Wohnraum in den Innenstädten inzwischen jeden Sinn für Solidarität verloren und wenn der soziale Bundesstaat dennoch seinen verfassungsmäßigen Pflichten nachkommt, denken Viele gerne, "Merkel hat das Land kaputt gemacht". Sicher hat die Bundesregierung bei der Integration und in der Sozialpolitik reichlich falsch gemacht und versäumt. Aber ihr zu unterstellen, sie habe "das Land kaputt gemacht", ist vor allem deshalb absurd, weil es diesem Land wirtschaftlich bestens geht. Die Bundesrepublik hat die beste Bilanz aller Zeiten, unter anderem auch deshalb, weil ihre Sozialausgaben so niedrig gehalten werden. Nicht nur im Pflegebereich spricht man längst von Kaputtsparen - und trotzdem warten alle ab, wie lange sich die Alten, die Kranken und die Pflegekräfte das noch gefallen lassen.

 

Der Vorwurf, die Kanzlerin hätte Deutschland demoliert, ist aber auch deshalb absurd, weil sie - im Gegenteil - die Fahne hoch hält und den Buchstaben des Gesetzes erfüllt: denn laut Grundgesetz sind wir ein SOZIALER Bundesstaat (Art. 20) und "politisch Verfolgte genießen Asylrecht" (Art. 16). Sich um Migranten, Flüchtlinge und Asylbewerber zu kümmern, gehört also zum deutsch sein dazu. Außerdem haben wir ein Asylgesetz (seit 1982) und seit 2005 ein Zuwanderungsgesetz (basierend auf dem Ausländergesetz von 1965), die beide schlicht und ergreifend eingehalten werden müssen. Das Einhalten von Gesetzen und Regeln ist in Deutschland üblich. Und Rechtssicherheit macht Deutschland aus: sie sorgt dafür, dass wir uns hier so wohl fühlen können. 

 

Wir sind im Moment in einer guten Verfassung

 

Uns geht es bestens, obwohl wir gleichzeitig Läuse und Flöhe haben: Wir praktizieren als eines der reichsten Länder der Welt eine extrem miese Sozialpolitik. Und wir haben Rassisten und Fremdenhasser unter uns, die wahrscheinlich deshalb aus ihren Löchern gekrochen kamen, weil - sozialpsychologisch gesehen - ihre Abstiegsängste und tief verschütteten Ressentiments durch diese furchteinflössende Sozialpolitik überhaupt erst ausgebrochen sind.

 

Jeder Einzelne muss sich seiner sozialen Verantwortung stellen: Wollen wir integrieren oder ausgrenzen? Nicht die Geflüchteten und die Zuwanderer zerstören dieses Land (die Kosten sind nicht hoch genug, als dass wir uns das nicht leisten könnten) sondern diejenigen, die vor lauter Fremdenhass unsere Verfassung in Frage stellen. Psychoanalytisch könnte man im Rahmen einer Projektionsanalyse nämlich auch zu dem Ergebnis kommen, dass die Fremdenhasser und Rassisten sich nur nicht eingestehen wollen, dass sie selber scharf auf die Fleischtöpfe sind und durch ihren "Merkel muss weg"- Komplex, selbst den deutschen Staat zersetzen - und dies im Rahmen der Freudschen Abwehrmechanismen auf die Fremden projizieren.

 

Nichtsdestotrotz muss man bei der Gewährung von Asyl auch "riskieren, sich gegebenenfalls in der Person geirrt zu haben", wie bereits Carlo Schmid 1948 konstatierte, als er im Parlamentarischen Rat über die spätere Auslegung der Asylrechtssformulierung im Grundgesetz diskutierte. 

 

Es geht um die Krankheiten, die durch Einsamkeit entstehen

 

Einsamkeit oder pures Alleinsein ist für den Staat oder unsere Landesregierungen nicht das Problem, denn Einsame protestieren nicht und sie streiken auch nicht. Sie halten immer still. Die Rede war von Senioren in England, die berichteten, dass sie nur einmal pro Monat ein Gespräch mit einem Freund (m/w) führten. Aber das eigentliche gesellschaftliche Problem, das die Allgemeinheit durchaus etwas angeht, sind die Krankheiten, die durch Einsamkeit entstehen. Nicht nur Depressionen, auch andere Krankheiten und tiefgreifende Pathologien werden durch Einsamkeit begünstigt, bzw. deren Prävention oder Heilung werden durch den Faktor Einsamkeit deutlich erschwert.

 

Einsamkeit erhöhe die Sterblichkeit so sehr wie das Rauchen, heißt es. Nun gibt es drei Strömungen: die einen behaupten, dass es super praktisch ist, wenn die Raucher schneller sterben, denn dann liegen sie der Rentenkasse und der Krankenkasse nicht so lange auf der Tasche - und sie seien ja auch selber Schuld an ihrer Erkrankung und damit an ihrem früheren Ableben. Die anderen haben berechnet, dass es wesentlich kostengünstiger ist, wenn die Bürger so lange wie möglich gesund blieben und die Dritten wollen ihren Mitmenschen einfach nur aus gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein, Nächstenliebe, Solidarität, Humanismus oder Altuismus helfen, gesund zu bleiben und ihre Lebensfreude zu erhalten. 

 

Im niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gibt es die Abteilung 4 "Gesundheit und Prävention" und die Abteilung 3 "Migration und Teilhabe" (das Gegenteil von Einsamkeit ist Teilhabe, wir hätten es also auch Teilhabeministerium nennen können) sowie die Abteilung 2 "Frauen und Gleichstellung", die sich u.a. mit "Antidiskriminierng" beschäftigt und die Abteilung 1, die sich u.a. der "Inklusion" und "Sozialhilfe" widmet, alles Einsamkeitsantagonisten.

 

Diese Abteilungen sind also allesamt für die Verhinderung von Einsamkeit zuständig. Und keiner sollte auf die Idee kommen,  sie durch eine extra Einsamkeitsbehörde aus ihrer Verantwortung zu entlassen.

 

Appell in eigener Sache

 

Verschiedene Referate der Abteilung 4 "Gesundheit und Prävention" kümmern sich um die Heilberufe, die Psychiatrie und um Grundsatzfragen der Krankenversicherung. Die Einsamkeit, um die es in der aktuellen Diskussion geht, betrifft meines Erachtens NUR Alte/Arme, also Menschen, die nicht genügend körperliche oder finanzielle Kraft haben, um andere Menschen treffen zu können und an den gesellschaftlichen Angeboten teilzunehmen - egal ob im realen oder im im virtuellen Raum. Alle anderen, die nicht arm und alt sind, wie beispielsweise pornophile Jungendliche, die keinen Spaß an echten Altersgenossen haben, sind bedauernswerte Einzelschicksale, die wir gesellschaftlich superleicht verkraften können.

 

Diese real existierenden Referate könnten im Kampf gegen Krankheiten, die durch Einsamkeit entstehen, den gesetzlich Versicherten helfen, die Kosten, die ihnen durch die Konsultationen von Heilpraktikern für Psychotherapie entstehen, von ihren Krankenkassen erstattet zu bekommen. Oder sie könnten auch gerne die Anzahl der kassenärztlich Zugelassenen verbessern, damit Betroffene nicht monatelang auf einen von der Krankenkasse bezahlten Therapieplatz warten müssen. 

 

Ich muss keine Prophetin sein, um vorauszuahnen, zu welchem Ergebnis Tracey Crouch, die Einsamkeitsministerin in England kommen wird: Sie wird proklamieren, dass die Zivilgesellschaft sich verstärkt um die Alten und Armen (und Kranken) kümmern soll, weil es den Wohlfahrtsstaat ja nun schon lange nicht mehr gibt. Dass das britische Gesundheits- bzw. Sozialministerium durch sie selbst aus seiner Verantwortung entlassen worden ist und ihr eigenes Ministerium nicht genügend Ressourcen hat, um schlagkräftig gegen die Einsamkeit und ihre Folgen anzukämpfen, macht die Sache nur noch  schlimmer.

 

Einsamkeit ist sowohl eine zivilgesellschaftliche als auch eine staatliche Aufgabe

 

Also werden Familien, Nachbarn, Vereine aufgerufen werden, sich vermehrt um die Einsamen zu kümmern - und da beißt sich die Katze in den Schwanz, denn das tun sie ja bereits und es gibt auch schon zahlreiche Angebote, der Einsamkeit zu entfliehen. Gerade hier in Hannover haben wir in jedem Stadtteil kommunale Mehrgenerationenhäuser, Mütter-Treffs, Senioren-Treffs und vieles mehr.  Hannover hat im Kunst- und Kulturbereich wahnsinnig viel zu bieten: so viel, dass auch Gesunde und Vermögende ersaufen in all den Ausstellungen, Vorträgen, Shows, Theaterstücken, Konzerten, Vernissagen, Opern, Kinofilmen (wobei Kino eigentlich ganz schön ungesellig ist) - doch auf dem Lande ist tote Hose. Und wenn doch einmal etwas geboten wird, sind die Armen und/oder Alten nicht mobil genug, um zu den jeweiligen Veranstaltungen zu gelangen: entweder haben Sie nicht die Kraft oder nicht das Geld.

 

Walsroder Bürgerbus als Paradebeispiel dafür, wie die Zivilgesellschaft es schafft

 

Dass Immobilität auf dem Land ein enormes Manko ist, haben einige Bürger in Walsrode erkannt und den Verein Bürgerbus Walsrode e.V. gegründet. Ehrenamtliche Fahrer lenken einen feuerroten Kleinbus auf einer festen Linie durch die Dörfer der Umgebung und sammeln die Wartenden auf dem Weg nach Walsrode ein. Eine Fahrkarte kostet für Mitglieder des Vereins 2,00 EUR, für andere 2,50 EUR (Stand Jan 2018). Und dieses Angebot nutzen alle, die nicht mit dem Auto fahren wollen oder können. Nicht unbedingt, weil sie alt oder arm sind, sondern, weil es ein tolles Angebot ist! Doch der hervorragende Verein mit seinen ehrenamtlichen Fahrern entlastet die staatlichen Institutionen und den ÖPNV aus der Verantwortung. Und so klasse ich solche Projekte finde, so sehr bedaure ich es, dass man die Kommune aus der Verantwortung für eine funktionierende Infrastruktur entlassen hat und die eigentlich Verantwortlichen sich nun ganz entspannt zurücklehnen können.

 

Aus Artikel 20 unseres erstklassigen Grundgesetzes leiten sich viele Pflichten ab. Unter anderem, dass wir als Staat, bzw. als Staatsbürger sozial zu handeln haben und dass sämtliche staatlichen Organisationen die Verantwortung für das Gemeinwohl tragen, also auch für die Qualität des sozialen Miteinanders. Das bedeutet nicht, dass jetzt alle Einsamen freien Eintritt ins Käferzelt erhalten sollen, sondern, dass die, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, gefälligst wirksam unterstützt werden - und genau dafür sind die vorhandenen Ministerien geschaffen worden und wir sollten sie einfach ihre Arbeit machen lassen.

 

Ich stimme also dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach durchaus zu, der fordert, dass sich das Gesundheitsministerium mit dem Problem der Einsamkeit beschäftigen soll. Doch ich fordere darüber hinaus, dass das "Soziale" in den Ministerien und Parteien gestärkt wird, die dieses Wort im Namen tragen und dass alle anderen Ministerien und Behörden auf Bundes- und Landesebene auch überprüfen, inwieweit sie das soziale Miteinander der Bürger fördern können. Keiner darf sanktionslos die sozialen Gene aus unserer Grundgesetz-DNA verleugnen oder entfernen. Wir sind ein sozialer Bundesstaat und wenn wir Staatsbürger aufhören, sozial zu sein, wird die Bundesrepublik Deutschland aufhören zu existieren. Danach wäre das Ganze dann ein anderes Staatsgebilde - und auf keinen Fall mehr mein Land.

Wie immer gilt: hier werden Klischees behandelt und selbstverständlich bestätigen viele prachtvolle Ausnahmen die Regel.

Wenn du diesen Beitrag teilen, liken oder kommentieren willst, sei dir bewusst, dass du automatisch einen Teil deiner Privatsphäre aufgibst. Ich freue mich genauso über eine E-Mail oder Snailmail an Dr. phil. Ariane Windhorst, Heilpraxis für Psychotherapie (HPG), Cäcilienstraße 19, 30519 Hannover-Döhren oder einen Anruf unter 0163-2612934. WhatsApp habe ich übrigens auch...