Trennungsschmerzen können wie drogenentzug sein

Anerkennung als Suchttherapie überfällig

Alle, die unter Liebeskummer und Trennungsschmerz leiden, berichten mir von ähnlichen Symptomen und entweder vergleichen sie das Gefühl mit der Amputation eines Körperteils - wie sogar mal einer meinte, "ohne Narkose" - oder mit einem Drogenentzug.

 

Das Leiden nach einer Trennung manifestiert sich tatsächlich für Viele in körperlich spürbaren Schmerzen. Aber vor allem in vielseitigen psychischen Symptomen, die mit dem lächerlichen Begriff "Kummer" nun wirklich nicht adäquat beschrieben sind.

 

Dieser unaussprechliche Zustand in seinen verschiedenen Phasen wird insgesamt von Gesellschaft und Schulmedizin unterschätzt. Aber nicht die gesamte Schulmedizin belächelt ihn: Studien der MHH zeigen, dass das "Broken Heart Syndrom" ziemlich genau einem Herzinfarkt entspricht, der im Unterschied zum echten Herzinfarkt jedoch wieder komplett ausheilen kann. Die Mediziner nennen es inzwischen "Takotsubo-Syndrom" - wahrscheinlich, weil ihnen der unwissenschaftliche Begriff des Gebrochenen Herzens nicht gefällt.

 

Für das psychische Syndrom eignet sich der Begriff dagegen ganz gut. Doch bevor ein Herz physisch oder psychisch bricht, sollte man die Betroffenen meines Erachtens durchaus sehr viel ernster nehmen und ihnen sehr viel intensiver dabei helfen, wieder vollständig zu genesen.

 

Psychologisch ist allerdings auch klar: selbst, wenn das Herz als körperliches Organ vollständig verheilen mag, "seelische Narben" bleiben bei einem Gebrochenen-Herz-Syndrom auf jeden Fall zurück, so pathetisch das klingen mag. Man ist nach einer solchen Episode nie wieder die Person wie vorher.

 

Liebeskummer und Trennungsschmerz sind nichts anderes als Craving

 

Schon im Wort "Sehnsucht" steckt ja bereits die Sucht, die Liebende fühlen, solange sie noch glücklich miteinander sind, aber für das Gefühl des Entzugs gibt es noch kein entsprechendes deutsches Wort, denn unter "Liebesentzug" verstehen wir ja etwas anderes. Die beiden Begriffe, die uns im Deutschen zur Verfügung stehen, nämlich "Trennungsschmerz" und "Liebeskummer", treffen bei Weitem nicht, was die Betroffenen wirklich fühlen.

 

Bei Alkoholikern und Junkies entsteht das Gefühl des "Craving", also die unaufhaltsame Gier nach dem geliebten Objekt, fachlich heißt es auf Deutsch "Substanzverlangen" - und die Verzweiflung, wenn diese Gier nicht gestillt wird, hat sehr viel Ähnlichkeit mit dem, was Liebeskranke beschreiben.

 

Ich bin der Überzeugung, dass Liebe als eine körperliche und psychsiche Abhängigkeit verstanden werden sollte - und man Menschen bei einem solchen "Entzug" genausowenig allein lassen sollte, wie bei einem Drogenentzug:

 

1) als Person abgelehnt zu werden, wird als Existenz-bedrohend empfunden. Eine Erschütterung des Selbstbewusstseins und des Selbstwertgefühls, die niemand so nebenbei verkraftet, solange er sich emotional doch noch vom anderen abhägig gemacht hat. Mit anderen Worten: Wenn dich dein Busfahrer oder dein Bäckereifachverkäufer nicht mehr liebt, macht dir das nichts aus, weil du von denen emotional nicht abhängig bist.

 

2) der Hormoncocktail, den wir als Liebende erleben, verursacht einen Rauschzustand und macht abhängig. Vielleicht nicht so sehr wie Heroin, aber eventuell ist das mit Benzodiazepinen vergleichbar. Man kann also durchaus von substanz-gebundener Abhängigkeit sprechen, wenn man körpereigene Stoffe als "Substanz" definiert.

 

Suchttherapie: Anerkennung des Gebrochenen Herzens als temporäre psychische Störung

 

Gegen diese Abhängigkeiten gibt es Programme, die von den Krankenkassen bezahlt werden. Wieso nicht bei "Liebeskummer" und "Trennungsschmerz"? Das (psychische) Gebrochenes-Herz-Syndrom wird in den Leitlinien für Mediziner nicht als Störung beschrieben. Also kann eine Behandlung dagegen nicht plausibel begründet - und daher auch nicht mit den Krankenkassen abgerechnet werden. Das war bis vor Kurzen auch mit Computerspielsucht genauso. Diese wurde aber im Gegensatz zum Gebrochenen Herzen in die jüngste ICD*-11 mit aufgenommen.

 

Abhängigkeiten - Fachleute vermeiden den Begriff "Sucht" - sind sehr schwer behandelbar, aber sie sind behandelbar.

 

Genausowenig, wie ich verstehe, dass man eine werdende Mutter 30 Stunden in den Wehen liegen lässt, verstehe ich nicht, wieso man Menschen, die an Gebrochenem Herzen leiden, wochen-, monate- oder manchmal sogar jahrelang ihrem Leid überlässt, ohne ihnen professionelle Hilfe anzubieten.

 

Vermutlich hat es damit zu tun, dass diese Menschen, um sich abzulenken, noch mehr arbeiten als zuvor, also weder aus der Leistungsgesellschaft aussteigen, noch dem Gesundheitssystem auf der Tasche liegen. Und tatsächlich ist es auch wirklich eine gute Idee, sich bei Gebrochenem Herzen mit Arbeit abzulenken.

 

Bei der Diagnose Liebeskummer darf in Deutschland jedenfalls niemand mit institutioneller Hilfe rechnen. Einige Heilpraktiker für Psychotherapie decken diesen Bereich professionell ab, aber die wenigsten Krankenversicherungen übernehmen die Kosten für diese Leistung. Also bleibt auch diese Therapie ein Privileg Vermögender. Kann ja wohl nicht wahr sein.

 

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* ICD steht für „International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems“, auf Deutsch „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“: Ein Katalog von Erkrankungen, an dem sich Mediziner und Krankenkassen orientieren.